Zinsentwicklung nach der Brexit-Entscheidung Schicksalswahl in Großbritannien: So könnten die Märkte reagieren
–– Sollten die Bürger Großbritanniens am 23. Juni für den Ausstieg aus der EU stimmen, ist ein Erdbeben an den Zinsmärkten so gut wie sicher. Doch auch ein Verbleib hätte erst einmal unschöne Folgen. Was Anleger erwartet.
Egal wie sich die Briten beim Referendum am 23.Juni entscheiden: Die Zinsmärkte werden in jedem Fall reagieren. Denn Unsicherheit auf den Märkten veranlasst die Investoren dazu, erst einmal Sicherheit zu wählen. Und die finden sei in jedem Fall in deutschen Staatsanleihen. Wenn Anleger aber mehr Geld in Deutschland investieren wollen, als der deutsche Staat tatsächlich benötigt, kann er den Preis noch weiter drücken. Die Renditen der hiesigen Staatsanleihen dürften daher kurzfristig auf ein neues, historisches Tief sinken. Es wäre das zweite innerhalb wenigen Tage, nachdem die zehnjährigen Bundesanleihen Mitte des Monats erstmals in der Geschichte ins Minus rutschten. Die kürzeren Anlagezeiten sind schon einige Zeit nur noch mit einer Minusrendite zu haben.
Sicher ist nur, dass nichts sicher ist
Sollte es zu einem Brexit kommen, währen die Effekte immens. Die Unsicherheit würde weiter steigen, die Zinsen weiter fallen. Das heißt aber nicht, dass eine Entscheidung für den Verbleib in der EU sofort wieder für Ruhe auf den Märkten sorgen würde. Auch in diesem Szenario dürfte die Nervosität erst einmal anhalten. Schließlich weiß niemand, wie die möglichen Folgeverhandlungen zwischen London und Brüssel aussehen und ausgehen werden. Anleger sollten sich also schon heute darauf einstellen, dass nicht nur die Staatspapiere, sondern auch alle anderen Anleihen sowie Tagesgeld- und Festgeldangebote peu à peu weiter nachgeben werden.
Die ING-DiBa hat diese Entwicklung bereits vorweggenommen und ihre Tagesgeldzinsen für Bestandskunden von 0,5 auf 0,35 Prozent gesenkt. Anlagebeträge von mehr als 100.000 Euro werden dort sogar nur noch mit 0,15Prozent verzinst. Dass die Mitbewerber nachziehen werden, steht so gut wie fest. Immerhin: Die Zinsen für die Neukunden hält die ING-DiBa bei dem vergleichsweise ansehnlichen Wert von einem Prozent. Das Kalkül ist klar: Der Neukunde wird gelockt, der normale Bestandskunde noch ganz gut verzinst und wer das Konto wirklich als sichere Geldanlage betrachtet und kein Risiko eingehen will, der ist auch mit 0,15 Prozent zufrieden. Beim Staat würde er noch weniger bekommen und bei den meisten Geschäftsbanken und kleineren Filialbanken gibt es schon lange Zeit nur noch Zinsen von um die 0,05 Prozent. Zudem vermittelt die deutsche Einlagensicherung der ING-DiBa mit einem Betrag von mehr als einer Milliarde pro Anleger ein sicheres Gefühl.
Große Summen – kleine Zinsen
Wer üppigere Guthaben – zum Beispiel eine halbe Million Euro – auf einem Tagesgeldkonto parken will, muss sich derzeit flächendeckend mit sehr mageren Zinsen bescheiden. Von 51 Banken in unserer Datenbank, die einen Betrag von 500.000 Euro annehmen würden, schaffen nur zehn Banken eine Rendite bzw. Mischzins von 0,25 bis 0,48 Prozent. Letzteren bietet nur das Kreditkartenkonto der DKB, die für 300.000 Euro immerhin 0,6 Prozent Zinsen zahlt. 29 Banken bieten eine Rendite von 0,1 bis null Prozent.
Bei einem Anlagebetrag von 50.000 schaffen es zumindest 13 Banken in die Gruppe von 0,25 bis 0,60 Prozent. Aber die Anzahl der Geringverzinser bleibt unverändert groß bei 29 Instituten. Und wer sich die Zinskurven auf unserer Seite ansieht, dass es nur einen gleichbleibenden Weg zu weniger Verzinsung gibt. Und der wird so bleiben, egal was die Engländer entscheiden.
Ratenkredite und Baugeld werden billiger
Immerhin: Auch die Zinsen für Ratenkredite werden weiter sinken. Das ist für die Verbraucher erfreulich, für Sparkassen und Volksbanken aber ein Problem. Deren Kunden vergleichen immer häufiger die Konditionen und nehmen nur noch selten die überteuerten Kredite ihrer Hausbank in Anspruch. Das schmälert die Zinsdifferenz zwischen Anlagezinsen und Kreditzinsen und tut vielen Banken sehr weh. Der Index bei den Ratenkrediten hat sich in den letzten 12 Monaten um etwa 0,25 Prozentpunkte verbilligt. Dispozinsen wurden im Durchschnitt um fast 0,3 Prozentpunkte billiger. Im gleichen Zeitraum sind die Anlagezinsen aber um etwa 0,08 Prozentpunkte gesunken geworden. Das illustriert das Problem der Banken: Ihre Margen (Gewinne) zwischen Anlage- und Kreditzinsen sinken. Dennoch wagen es die Geldhäuser nicht, die Zinsen auch für private Anleger ins Minus zu drücken – zu groß ist die Angst, dann ihren gesamten Kundenstamm zu verlieren.
Eine Frage bekommen wir im Hinblick auf die Hypothekenzinsen immer wieder gestellt: Wird Baugeld nach dem Brexit-Referendum noch billiger werden – oder steigen die Zinsen wieder?
Verbindlich vorhersagen lassen sich derartige Entwicklungen natürlich nie. Wir gehen aber davon aus, dass die Hypothekenzinsen sich nicht im gleichen Maße verbilligen werden wie die Bundesanleihen. Auf der anderen Seite gibt es keinen Grund, warum die Hypothekenzinsen in den nächsten Monaten steigen sollten. Unsicherheit auf den Finanzmärkten führt in der Regel zu einer verstärkten Geldanlage in Deutschland, was sich auch auf die Pfandbriefe auswirkt. Damit sind sinkende Zinsen relativ wahrscheinlich. Für Zinsbindungsfristen von zehn bis 20 Jahre dürfte es also nochmals nach unten gehen. Anleger können zumindest an dieser Stelle ohne akuten Zeitdruck ihre Finanzierung planen.