Minuszinsen in aller Munde Faktencheck Negativzinsen: Müssen Verbraucher jetzt reagieren?
FMH-Finanzberatung
–– In den letzten Tagen konnte man kaum eine Zeitung aufschlagen, kaum ein Online-Magazin aufrufen, ohne das Buzzword der Stunde zu lesen: Minuszinsen. Doch sind Negativzinsen, auch auf dem Girokonto, tatsächlich auf dem Vormarsch – und was bedeutet das für den Privatkunden? Ein Faktencheck à laTatsächlich hatte unser Experte Max Herbst den sich klammheimlich entwickelnden Trend zu Negativzinsen für Privat- und Kleinanleger bereits im letzten Sommer kritisch hinterfragt: Weshalb nur interessierte das niemanden, wo blieb der Aufschrei, fragte er sich. Nun, ein halbes Jahr später, ist er da: Das Presseecho jüngster Veröffentlichungen diesbezüglich ist groß. Mit Auslöser waren Zahlen, die wir vor einigen Tagen dem Handelsblatt vorgelegt hatten. Deshalb auch von unserer Seite ein kleines Statement zu dem Thema.
Fakten zu Negativzinsen: So sind Marktlage und Entwicklung
Im Juli 2020 hatten wir eine Grafik veröffentlicht, die verdeutlichte, dass die Zahl der Banken, die Minuszinsen auf Tagesgeld- und Girokonten erhoben, im Laufe des Jahres sukzessive gestiegen war. Im Februar 2021 legten wir für das Handelsblatt eine kleine Studie an, die zeigte, welche Banken allein von Dezember 2020 bis Februar 2021 Negativzinsen eingeführt hatten. Der Trend ist eindeutig.
Doch damit nicht genug: Die Liste der Banken wird Monat für Monat immer länger, immer überraschender und es ist kein Halten in Sicht. Womöglich wird es in wenigen Monaten keine Übersichten mehr darüber geben, welche Banken Minuszinsen eingeführt haben, sondern darüber, welche es noch nicht getan haben. Das führt uns zu der folgenden Frage.
Negativzinsen: Wohin geht die Reise?
Unsere Prognose: In einem Jahr wird es fast keine Bank mehr geben, die noch keine Negativzinsen auf mindestens einem Kontomodell erhebt. Im Gegenteil, es wird immer mehr Banken geben, die bereits Minuszinsen ab dem ersten Euro erheben – und das nicht nur auf dem Tagesgeldkonto, sondern auch auf dem Girokonto.
Darauf lassen erste Banken schließen, die bereits entsprechend vorgehen: Die Volksbank Hameln-Stadthagen berechnet schon seit einiger Zeit ab dem ersten Euro Minuszinsen. Die Bayerische BodenseeBank haben wir ganz frisch auf dem Schirm, sie berechnet sogar ab dem ersten Cent 0,5 % Minuszinsen. Damit lässt sich ein weiterer Trend erahnen: Auch für das Girokonto zahlen Kunden bald auf zweierlei Art – sowohl für den Dispo als auch für das Guthaben. Ob der Kunde Geld hat oder Geld braucht: Die Bank wird in jedem Fall verdienen.
Ein weiterer Hinweis aus den Reihen der Sparkassen auf eine mögliche Einführungswelle des Minuszinses zumindest im Osten Deutschlands kommt vom Ostdeutschen Sparkassenverband: Dieser stöhnte auf finanzen.net kürzlich über die extrem hohen Kundeneinlagen. Ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl, der die Einführung der Negativzinsen ankündigt?
Grundsätzlich bleibt den deutschen Banken bei der aktuellen Strafzinspolitik der EZB kaum eine Wahl, als die Freibeträge für ihre Anleger immer niedriger anzusetzen: Allein 2020 mussten die europäischen Banken rund 10 Milliarden Euro Strafzinsen an die EZB überweisen. Kein Wunder, dass Banken diesen Verlust weitergeben – insbesondere, da die Sparquote 2020 auf 15 % stieg.
Exkurs: Weshalb unterscheiden sich die Aussagen zu den Negativzinsen?
Wer die Meldungen in den letzten Wochen verfolgt hat, konnte womöglich feststellen, dass auch Vergleichsseiten wie Biallo und Verivox regelmäßig Listen von Banken veröffentlichen, die Negativzinsen verlangen. Die Aussagen dieser beiden Portale unterscheiden sich jedoch voneinander und zudem auch beide von unseren Zahlen. Woran liegt das?
In unserer Auswertung fokussieren wir uns ausschließlich auf Negativzinsen, die auch – wie gesetzlich vorgeschrieben – im Preisleistungsverzeichnis der jeweiligen Bank zu finden sind. Telefonische Abfragen und andere Auskünfte gelten für uns als nicht prüfbar und werden deshalb nicht berücksichtigt.
Wohin jetzt mit dem Geld?
Gerade Privatanleger werden sich nun fragen, wo ihr Geld denn noch vor Minuszinsen und Inflation sicher ist, oder ob es zwangsläufig an Wert verliert. Leider muss man sagen: Bei den derzeitig gegen null gehenden Tagesgeldzinsen ist beinahe egal, wo man sein Erspartes parkt. Einige Banken setzen den gleichen Freibetrag für Tagesgeld und Girokonto an, manche Banken verlangen für Guthaben auf dem Girokonto bereits deutlich früher Negativzinsen als bei Tagesgeld- oder Festgeldguthaben. Wieder andere Banken wie die Skatbank beziehen den Freibetrag nicht auf ein Konto, sondern auf den Kunden – ganz gleich, ob auf dem Tagesgeldkonto, dem Girokonto oder gleichmäßig auf beide verteilt: Sobald ein Kunde insgesamt 100.000 Euro bei der Skatbank parkt, werden die Strafzinsen fällig.
Bei diesem Dilemma sind viele Banken jedoch gern behilflich. Denn die Minuszinsen bieten ihnen einen wunderbaren Beratungshebel, um Kunden von der konventionellen Geldanlage weg zur Wertpapieranlage hin zu beraten. Dabei schlagen Banken gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits werden sie die Einlage des Kunden los und müssen keine Strafzinsen an die EZB zahlen. Andererseits verdienen sie Provision für die Vermittlung der Anlage.
Allerdings: Da diese Empfehlung für viele Kunden eine sinnvolle Alternative darstellen kann, sehen wir hierin nichts verwerfliches, sondern lediglich eine Win-Win-Situation.